Kultur # 17 (Obdacloser Brötchen…)

Kultur # 17

Ein Obdachloser betritt im Hauptbahnhof eine Bäckerei. Das Konzept der Bäckerei heißt: Selbstbedienung. Vor einer Wand stehen fünf Kaffeemaschinen. Links von den Maschinen sind Pappbecher aufgereiht. Bereit zur Benutzung. Per Knopfdruck wird entschieden, ob eine Kaffeevariante oder heißes Wasser für Tee oder eine heiße Schokolade in den Becher laufen soll. Im hinteren Bereich der Bäckerei befindet sich ein Kühlregal. Es ist in drei Fächer unterteilt und mehrere Meter lang. Zur Verfügung stehen süße und salzige Teilchen. Auch dort sollen sich die Kunden selbst bedienen. Der Obdachlose greift nach einem Schinkenbrötchen und verlässt den Laden. Ohne zu bezahlen. Ein Angestellter der Bäckerei bemerkt das, läuft dem Obdachlosen hinterher, erreicht ihn und tippt ihm von hinten auf die Schulter. Der Obdachlose dreht sich nach ihm um. Der Bäckereiangestellte lächelt den Obdachlosen freundlich an und bietet ihm etwas an: Ein Wachspapier. Es liegt ausgebreitet in der Hand des Bäckereiangestellten. Der Obdachlose ist überrascht. Zögert. Nach einem weiteren Blick auf das freundliche Gesicht des Bäckereiangestellten, legt er sein Schinkenbrötchen auf das Wachspapier. Der Bäckereiangestellte schließt seine Finger um das Brötchen und kehrt zurück zum Laden. Der Obdachlose ballt beide Hände zu Fäusten und flucht. Erschreckend laut. Der Angestellte der Bäckerei grinst. Erschreckend lange. In der Bäckerei angekommen öffnet er seine Hand. Das Brötchen plumpst in den Mülleimer.

Wünsche # 15 (Marie und der Familienausflug..)

Wünsche # 15

Marie ist zu Besuch. Maries Vater schlägt einen Ausflug vor. Das ist seine Art zu zeigen, dass er sich freut, dass Marie gekommen ist. Maries Neffe kommt auch mit. Die anderen Kinder von Maries Schwester wollen lieber zu Hause bleiben. Um das Ziel wird gestritten. Maries Mutter will an den Tegernsee. Marie an den Chiemsee. »Du bist die Angereiste«, sagt Maries Neffe, »du sollst entscheiden dürfen wo es hingeht«. Maries Mutter stimmt dem nicht zu, kann aber sonst auch niemanden für ihr Ziel begeistern. Also geht es an den Chiemsee. Maries Vater fährt. Marie sitzt auf dem Beifahrersitz. Maries Mutter und ihr Neffe auf der Rückbank. Das Auto wird auf einem Großparkplatz untergebracht. Danach schlendern alle zwischen bemalten Bauernhäusern, geschnitzten Holzbalkonen und rot blühenden Geranien Richtung Fähre. Auf der Fraueninsel angekommen gibt es ein bayrisches Mittagessen in einer alteingesessenen Wirtschaft und danach wird der Rundweg am Ufer eingeschlagen. Maries Mutter sagt zu Marie: »Dein Pony steht dir nicht, er macht deine Nase, die eh schon so ein Zinken ist, noch größer!« Maries Mutter reicht Marie ein Taschentuch und verlangt, dass sie sich den Lippenstift abwischt. Maries Mutter sagt: »Damit siehst du aus wie eine Dirne.« Marie lehnt es ab, der Aufforderung ihrer Mutter nachzukommen. »Warum bist du nur so bockig«, sagt Maries Mutter. »Du kannst mir doch auch einmal einen Gefallen tun.« »Jetzt lass sie halt«, sagt Maries Vater. »Als anständige Frau trägt man aber keine so vulgären Farben. Kein Wunder, dass du keinen Mann abkriegst«, sagt Maries Mutter. »Außerdem lachst du neuerdings wie eine Ziege. Das gewöhn dir gleich mal wieder ab.« Marie atmet tief durch. Das reicht nicht. Marie stellt sich an die Seite ihres Vaters. Das reicht auch nicht. Marie lässt sich von der Gruppe zurück fallen und denkt, wie schön es jetzt wäre, der vor ihr liegende See zu sein. Er kann, falls nötig, Familien auch verschlucken. Marie kramt in ihrer Tasche nach einem Kaugummi, schiebt ihn sich in den Mund und sucht nach dem Grund, der sie bewogen hat dem Ausflug zuzustimmen. War es die Hoffnung, dass sich Dinge ändern können oder wollte sie einen Tag lang eine Heldin sein. Außergewöhnlich stark. So stark, dass jeder Angriff abperlt wie Regentropfen auf Neoprenanzügen. Marie hält weiterhin zehn Meter Abstand und beschließt, diese Distanz bis zum Parkplatz beizubehalten. Maries Vater erhebt Einspruch. »Komm«, sagt er, und winkt Marie heran. »Gleich«, sagt Marie. Sie kann ihren Vater verstehen. Die Sonne scheint. Die Luft ist mild. Das Wasser bezaubernd blau. Und nichts fühlt sich wie ein Familienausflug an. Marie holt tief Luft. Die Enten können ganz gelassen auf den begrünten Uferstreifen kacken und ich muss mich jetzt konzentrieren. Nur eine Kleinigkeit, denkt sie. Eine Kleinigkeit würde schon ausreichen. Marie strengt sich an. Sehr an. Marie fällt etwas ein. Bei der Autofahrt durfte ich vorne sitzen und meine Mutter hat sich mit der Rückbank begnügt. Das ist doch großzügig, denkt Marie. Meine Mutter gewährte mir einen Vorteil. Da gibt es nichts zu meckern. Das ist ein freundliches Verhalten. Daran halte ich mich jetzt fest. Marie schließt auf und erzählt ihrem Neffen alles was sie über Homöopathie weiß. Und Marie weiß viel über Homöopathie. Sie erreichen die Fähre. Den Parkplatz. Maries Mutter bleibt vor dem Auto stehen und sagt zu Marie: »Du sitzt hinten.« Maries Vater schaut Maries Mutter fassungslos an und sagt: »Aber Marie sitzt doch immer vorne, wenn sie bei uns zu Besuch ist und das behalten wir auch so bei.« Maries Mutter sagt: »Ab heute nicht mehr.« Auch Maries Neffe gelingt es nicht Maries Mutter umzustimmen. Marie nimmt ihren Kaugummi aus dem Mund.

>	</div><!-- .entry-content -->

</article><!-- #post-## -->

			
				
<article id=

Abgehört # 9 (Waffenbilder Anwältin…)

Abgehört # 9

»Nach der Trennung von meinem Mann habe ich nur Waffen gemalt. In großen Formaten. Ein Meter auf zwei Meter. Bei der ersten Ausstellung habe ich gleich ein Bild verkauft. Die Käuferin war Anwältin. Sie wollte es für ihre Kanzlei. Ein weiteres Bild, nur mit der Munition, hat sie sich auch dazu gekauft. Ihr Fachgebiet habe ich gleich richtig erraten: Familienrecht!«