Kultur # 73 (TMI= …)

 

Kultur # 73

TMI= 
Toastbrote Mauscheln Irgendetwas
Tänzer Mustert Isomatten
Teetassen Möchten Immer
Totales Meckern Idealisieren
Tiramisu Mundet Igel
Torsten Müsste Intervenieren
Tabletten Mittags Ideal
Trostpflaster Missverstandene Idee
Teilweise Mitmenschen Ignoriert 
Täglich Mut Improvisieren
Talentiert Marihuana Inhalieren
Tolle Männer Innehalten
Türkisfarbene Möbelstücke Integrierbar
Tamaras Mitdenken Imponiert
Taufrische Marillen Inspiziert
Tieren Missfallen Innenstädte
Thomas Meidet Inga
Torte Mag Insekten
Tarzan Murmelt Ida
Tulpen Mitschleppen Idiotisch
Tolle Museen International
Trunkenheit Mitreißend Intensiv
Teilnahmslos Mangos Importieren

 

 

Alltag # 116 (Sebastian Schwämme..)

Alltag # 116

Die Schwämme, die Sebastian in seinem Haushalt benutzt, durchlaufen immer drei Stadien. Zuerst verwendet er sie nur in der Küche. Für den Abwasch, die Arbeitsoberflächen und den Küchentisch. Sobald sie anfangen zu riechen, sind sie für das Bad zuständig. Und wenn die harte Unterseite des Schaumstoffs dann anfängt zerfranst auszusehen, entsorgt er sie. Der Schwamm, den er jetzt in der Hand hält, ist schon in der zweiten Phase. Sebastian drückt Scheuermilch auf die Seite mit dem Hartvlies und beugt sich über das Waschbecken. Er wählt den größten eingetrockneten Zahnpasta Klecks und schrubbt mit den rauen Fasern über die kleine Erhebung. Nach ein paar Wischbewegungen beendet er den Vorgang. Die Anhaftung ist aufgelöst. Beim nächsten Minihaufen geht er wieder so vor. Greift mit dem Schwamm ein und löst die Verbindung auf. Eine Verbindung, die schon seit vielen Tagen existiert. Über all diese Verbindungen weiß Sebastian so gut wie gar nichts. Vielleicht haben sich die Zahnpasta und die Keramik darüber gefreut, zueinander gefunden zu haben. Denn diese Kleckse wurden nicht in den Abfluss hineingetrieben, keiner von ihnen wurde hinuntergespült und so musste die allglatte Oberfläche des Waschbeckens, an der sonst alles abprallt, einmal nicht allein zurückbleiben. Vielleicht sind das alles glückliche Verbindungen, die er da gerade auflöst. Sebastian weiß es nicht. Er weiß nur, dass zwei Dinge zusammengefunden haben. Und dass alleine das schon ein Kunststück ist. Sebastian drückt den Schwamm auf eine andere Stelle im Becken und stört den nächsten Zusammenhalt. Peu á peu verschwinden so alle Kleckse. Nach wenigen Minuten findet Sebastian keinen mehr. Um aber wirklich sicher zu sein, dass er nichts übersehen hat, inspiziert er das Becken noch einmal. Sein Blick gleitet langsam von oben nach unten und von links nach rechts. Sebastian stellt zufrieden fest: Es gibt keine Unebenheiten mehr. Er drückt den Schwamm unter dem laufenden Wasser aus und wischt die Scheuermilchrückstände mit frischem Wasser von der Keramikoberfläche. Danach reibt er die Keramikoberfläche noch mit einem Tuch trocken und betrachtet das Ergebnis. Das Waschbecken ist strahlend weiß und makellos. Der neu eingetretene Glanz beglückt ihn. Es hebt immer seine Stimmung, wenn nur schon an einer Stelle etwas perfekt ist. Trotzdem wird er heute nicht mehr machen. Es liegt ihm fern, das ganze Bad zu putzen, so zu werden wie seine Mutter. Seine Mutter hat viel vom einwandfreien Erscheinungsbild der Oberflächen gehalten. Seine Mutter war auch Jahr ein Jahr aus für das Erscheinungsbild der Oberflächen zuständig. Sebastian konnte nie genau sagen, ob seine Mutter sich mit den schönen reinlichen Oberflächen über vieles nur hinwegtäuschen oder auch hinwegtrösten wollte.

 

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Lebensentwürfe # 45 ( Die Zeit ist nicht begrenzt..)

Lebensentwürfe # 45

Eine Frau packt ihren Koffer und verlässt ihre Kinder. Sie versucht nicht daran zu denken, was sie davon halten. Ein Junge mag die Mütze auf seinem Kopf nicht und wirft sie in die Pfütze. Ein Mann steigt aus dem Bett. Er ist allein, nackt und denkt, er sollte die Bettwäsche wieder einmal waschen. Ein Spatz pickt einen großen Croissantbrösel vom Teller und bringt ihn fliegend in Sicherheit. Eine Bäckereifachverkäuferin legt das Wechselgeld auf den Tresen, wünscht dem Mann einen guten Tag und denkt, dass er ihn nicht verdient hat. Ein Schnucki sagt einem anderen Schnucki nicht alles. Eine Architektin meldet sich nicht mehr bei ihrer Schwester. Dass die Schwester nicht nachfragt wieso, ärgert sie ungemein. An einem Montag ist das Maß dessen, was man erträgt schon vor dem Aufstehen erreicht. Eine Frau sagt: »Ich will dich« und legt ihre Hand auf den Brustkorb eines Mannes. Ein Vater sagt zu seinem Kind: »Das verstehst du nicht!« Das Kind sagt: »Doch!«. Der Vater möchte aber immer noch nichts verständlich machen. Ein Mann dreht den Kopf weg, er will seinen Mann zur Begrüßung nicht ansehen. Für einen Augenkontakt bräuchte er das Gefühl, zugewandt zu sein, und das kann er gerade nicht aufbringen. Ein Sohn benutzt das Auto des Vaters und fährt es gegen einen Baum. Eine Rentnerin entleert ihre Blase auf dem Sessel. Sie hat vergessen, dass es dafür Toiletten gibt. Eine Geliebte sagt immer wieder, sie habe keine Zeit. Und die Zeit sagt nichts. Nichts davon kümmert sie. Sie hat kein Ende. Nur die Ereignisse haben eines. Sie sind begrenzt.

 

Lebensentwürfe # 46 ( Marie und die Tür…)

Lebensentwürfe # 46

Marie zieht die untere Schublade der Kommode auf. Sie sucht nach der Tragetasche aus Baumwolle. In der Schublade wäre alles übersichtlicher, wenn sie sich die Mühe machen würde, die Gebrauchsgegenstände ordentlich zu sortieren. Das widerstrebt ihr aber. Viel lieber stopft sie einfach alles hinein. Das bereitet ihr Freude. Anpassungshaltungen einnehmen zu müssen, schreckt sie immer noch ab. Sie hatte zu viele davon. Marie sieht Schals, Mützen, Regenschirme, aufsteckbare Vorder- und Rücklichter für das Fahrrad, einzelne Gummi-Expander und dann den schmalen Träger einer Baumwolltasche. Mit einer Hand zieht sie daran und mit der anderen passt sie auf, dass von der übervollen Schublade nichts auf den Boden fällt. Marie hat verschiedene Brotaufstriche gekauft und drei Packungen Schokoküsse. Diese Dinge will sie mit der Baumwolltasche transportieren. Sie befüllt den Beutel und stellt ihn schon einmal in den Flur. Heute gibt es ein rauschendes Fest. Da will sie hin. Den Termin hat sie schon vor einer Woche in ihren Kalender eingetragen. Sie mag das Gefühl, am Wochenende verplant zu sein. Vor einem Jahr war sie auch schon auf dem Fest. Matthias hat sich vor mehreren Jahren in einem kleinen Dorf ein Sommerhaus gekauft und veranstaltet seitdem jeden Sommer ein Fest. Marie hat die Eindrücke vom letzten Jahr noch vor Augen. Bunte Girlanden hangelten sich von Baum zu Baum. Margeriten und wilde Rosen blühten. Aufgeklappte Bierbänke und Holztische standen unter Apfelbäumen. Schwarze Plastikwannen waren im Schuppen und mit Eiswürfel, Bier- und Weinflaschen befüllt. Marie hatte sich wohlgefühlt. Das gelingt ihr nicht immer. Manchmal kann sie mit Festen nichts anfangen. Weder mit den Menschen, die dort herumstehen noch mit sich selbst. Marie greift nach einer dünnen Jacke und stopft sie ebenfalls in den Beutel. Vielleicht wird es auf dem Land doch kühler sein, als sie jetzt vermutet. Die Abfahrtzeit des Zuges hat sie im Kopf. Gleich nach dem Aufwachen hat sie sich eine passende Zeit ausgesucht und diese dann auch gleich Sebastian mitgeteilt. In vierzig Minuten geht die kleine Reise los. Sebastian wird dann schon im Zug sitzen. Im vorderen Wagon. Dass Sebastian auch zu dem Fest will, wird ihr dabei helfen, die Wohnung zu verlassen. Marie geht ins Bad, putzt sich die Zähne, trägt Lippenstift auf und tupft sich davon auch noch etwas auf die Wangen. Sie freut sich schon auf Menschen, die dicht beieinander stehen werden, weil sie sich mögen und auf das Gefühl, nichts erfüllen zu müssen. Sich einfach dem Abend ergeben zu können. Den Gesprächen. Den kleinen Berührungen, die bei den Begrüßungen stattfinden. Marie schlüpft in die Schuhe, bindet sich die Schnürsenkel zu und sieht auf die Uhr. Sie hat immer noch genügend Zeit, bevor sie los muss. Sie wollte absichtlich mit den Vorbereitungen früh fertig sein. Das erhöht ihre Chancen. Sonst läuft sie Gefahr nicht loszukommen. Die Tür nicht öffnen zu können. Das kann passieren. Sie kann steckenbleiben. Ihre Gedanken sagen ihr dann noch: Geh! Geh! Geh! Aber der Körper hört schon nicht mehr auf sie. Als Jugendliche kam sie auch oft nur bis zur Haustür und von dort ging es dann nicht weiter. Nicht weiter in die große weite Welt hinein. Sie kam nicht durch die Tür. Die Mutter hatte die Hoheitsgewalt über den Schlüssel. Ihre Mutter mochte es, die Gewalt über den Schlüssel zu haben. Marie hat versucht ihr den Posten streitig zu machen. Ihre Versuche blieben aber vergeblich. So lange Marie denken kann, blieb die Haustür zu, wenn ihre Mutter das so wollte. Dann war Maries Welt an der Haustür zu Ende. Ohne sommerliches Badengehen, ohne Freundinnen besuchen gehen, ohne Eisessen. Das Gefühl, nicht vor die Tür zu kommen, steckt ihr deshalb immer noch in den Knochen. Das Gefühl, ihre Welt könnte an der Haustür wieder zu Ende sein. Heute, sagt sie sich, wird sie es schaffen, an die Tür zu gehen. Schließlich ist sie schon seit vielen Minuten in Bewegung und wird auch weiter in Bewegung bleiben. Der Schritt zur Tür wird ihr dann ganz banal vorkommen. Er wird nicht aufgeladen sein. Alles wird ganz unbedenklich sein. So unbedenklich, wie wenn man im Buch eine Seite umschlägt. Da überlegt man auch nicht groß, man tut es einfach. Ganz automatisch. Und genauso wird es ihr heute mit der Tür gehen. Das steht zumindest auf ihrer Wunschliste ganz oben.

 

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