Kultur # 59 (PAW = …)

 

Kultur # 59

PAW =
Plötzlicher Aktionismus Weltweit
Pinguine Anstupsen Wöchentlich
Persönlicher Antrieb Wünschenswert
Paris Abknutschen Wortlos
Perfektes Alleinsein Wiedergefunden
Panisches Anklammern Wirkt
Pfannkuchen Abschlecken Willkommen 
Pantoffelblumen Anbaggern Weitverbreitet
Pferdefotos Ablochen Wertlos
Paul Anprangern Wortgewaltig
Platons Ansichten Wiederverwertbar
Pute Abbusserln Will

 

 

Kultur # 60 (Die Katar Dromedarregelung…)

 

Kultur # 60

In Katar gibt es eine Regel zu Dromedaren im Straßenverkehr. Wird eines von ihnen auf einer Autobahn vor achtzehn Uhr verletzt oder getötet, muss der Autofahrer oder die Autofahrerin für die Behandlungskosten oder den Verlust aufkommen. Wird es aber nach achtzehn Uhr verletzt oder getötet, muss der Dromedarhalter oder die Dromedarhalterin den Schaden am Auto begleichen.

 

 

Alltag # 90 (Marie und Ersatzbushaltestellenschild…)

Alltag # 90

Ein Teil der S-Bahnstrecke ist gesperrt. Marie biegt um die Ecke und entdeckt fünfzig Meter vor sich ein provisorisch aufgestelltes Bushaltestellenschild. Das Schild sieht wackelig aus. Der Stab mit dem grün-gelben Schild wurde am Rand des Bürgersteigs einfach in einen breiten Block gesteckt. Diese Konstruktion wird für eine Woche dort stehen bleiben, dann wird das Schild wieder weggetragen. Marie nähert sich dem Werk. Allein. Sonst steht da niemand. Ein Ersatzbus ist gerade eben erst abgefahren. Marie muss jetzt auf den nächsten warten und ihr Verhältnis zum Warten ist angespannt. Auf etwas warten zu müssen strapaziert ihre Nerven. Sie hat dann das Gefühl, dass sich die Zeit seitlich ausdehnt, statt wie sonst nach vorne zu rasen. Marie erreicht die Haltestelle und starrt in die Richtung, aus der der Bus kommen wird. Sie hofft, dass ihre Augen den Bus magnetisch herbeiziehen können. Aber an ihr fahren nur stinkende Autos und Motorräder vorbei. Marie spürt, wie sich Groll gegen die Verkehrsbetriebe aufbaut. Es ärgert sie, dass sie jetzt so ausgeliefert ist. Und nicht einmal ein Bushäuschen gibt es hier. Darin zu sitzen, hätte sie etwas beruhigt. Auch nimmt sie es persönlich, dass sie an der Haltestelle immer noch die einzige ist, die dem Warten ausgesetzt ist. Niemand sonst leistet ihr dabei Gesellschaft. Marie steht gerne mit allem Möglichen auf Kriegsfuß. In ihrem Leben gibt es ein graues Loch. Ein Mangel plagt sie. Aber damit will sie sich jetzt nicht beschäftigen. Sie kehrt der Fahrbahn den Rücken zu und sieht zu den Wohnblöcken hinüber, die sich hinter dem Gehsteig auftürmen. Die Architektur begeistert sie nicht, ebenso wenig die Passanten, die auf dem Gehsteig an ihr vorbeilaufen. Aber zwischen den Häusern und dem Bürgersteig entdeckt sie eine meterlange Hecke. Das Grün erfrischt ihre Augen und das muntert sie auf. Dass die Hecke ihr Grünsein so schamlos zur Schau stellt, beeindruckt sie. Die Hecke will sich nicht vor der Welt verstecken. Sie geht zu ihr hinüber und sieht sie sich genauer an. Die kleinen Blätter haben eine ovale Form, ihre Oberseite ist glänzend, die Unterseite etwas heller und matter. Wahrscheinlich ist das Buchsbaum, denkt sie, und hofft, mit dem Begriff ins Schwarze getroffen zu haben. Sie möchte nicht achtlos alles über einen Kamm scheren, nur weil sie gerade keine anderen Gattungsbegriffe für Hecken parat hat. Die Hecke zeigt sich, denkt Marie. Alle dürfen alles sehen. Sie ist einfach bemerkenswert offen. Marie dagegen zieht es vor, vieles von sich im Verborgenen zu lassen. Marie streckt die Hand aus und berührt ein paar von den eiförmigen Miniblättern. Sie fühlen sich robust und glatt an. Aus den Augenwinkeln sieht sie, dass sich ein Bus nähert und als sie den Kopf wendet, erkennt sie, dass es ihrer ist. Der Fahrer blinkt bereits und drosselt die Geschwindigkeit. Schnell streckt Marie die Hand aus und streift nun über so viele Blätter, wie sie erwischen kann. Sie streichelt der Hecke mehrmals über den Kopf oder über das, was sie bei einer Buchsbaumhecke für den Kopf hält. Als Dankeschön. Während sie einsteigt und nach einem freien Sitzplatz Ausschau hält, bemerkt sie, dass sich die angenehmen Berührungen der kleinen Blätter in ihren Körper eingebrannt haben. Mit der gleichen Intensität, wie das sonst meist nur unangenehme Dinge fertig bringen.

 

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Alltag # 92 (Sebastian will pünktlich sein…)

Alltag # 92

In Charlottenburg hat Sebastian immer das Gefühl, dass alles viel Platz haben darf. Gerade läuft er einen Bürgersteig entlang, auf dem problemlos fünf Menschen nebeneinander her laufen könnten. Genau deswegen mag er diesen Teil der Stadt. Diese Weite macht sein Herz frei. Normalerweise würde er sich auch die alten herrschaftlichen Häuser genauer ansehen und die verzierten Fassaden bewundern. Aber gerade geht das nicht. Er ist in Eile. Er will pünktlich sein. In drei Minuten möchte er vor der Praxis seiner Therapeutin stehen. Er will auf keinen Fall zu spät kommen. Er befürchtet, ein von ihr flapsig ausgesprochener Kommentar, könnte ihn verstören. Bis zu ihrer Tür sind es bloß noch dreißig Meter aber Sebastian bleibt angespannt. Noch könnte ihm alles Mögliche passieren. Er könnte von einem Fahrradfahrer umgefahren werden oder noch über eine hervorstehende Bodenplatte stolpern und dumm aufs Gesicht fallen. Dann müsste er sich erst einmal um das Blut kümmern, das ihm aus der Nase läuft. Seit der letzten Straßenkreuzung hat er schon fünf Mal nach der Uhrzeit gesehen. Die Fakten überprüft. Und jetzt tut er es schon wieder: Es ist 15:53 Uhr. Alles läuft nach Plan. Seine Unruhe bleibt aber trotzdem bei ihm. Sebastian kommt ein junger Mann entgegen. Er hat dunkelbraune lockige Haare und führt einen jungen Hund an der Leine. Es ist ein weißes wuscheliges Etwas, das direkt auf Sebastian zusteuert. Es scheint ein besonders neugieriges Exemplar zu sein. Sebastian mag Hunde. Er lässt sich gleich von den schwarzen Knopfaugen und dem wachen Blick verzaubern. An jedem anderen Tag würde er jetzt in die Hocke gehen, den kleinen Hund streicheln und sich notfalls auch die Hand von ihm ablecken lassen. Aber jetzt will er in zwei Minuten bei seiner Therapeutin sein. Bis zur Hausnummer zweiunddreißig sind es nur noch ein paar Schritte, trotzdem ignoriert er den Hund. Er geht schnellen Schrittes weiter und wirft wieder einen Blick auf das Display seines Telefons. 15:54 Uhr. Und dann steht er vor der zweiflügeligen Eingangstür aus der Gründerzeit. Alles ist perfekt gelaufen. Er hat seinen Zeitplan eingehalten. Nur seine Stirn ist nass. Sebastian atmet tief durch aber ein entspanntes Gefühl mag sich immer noch nicht einstellen. Jetzt findet er es doch schade, dass er sich für den Hund keine Zeit genommen hat, dass er nicht kurz mit ihm gespielt hat. Die Berührung mit dem warmen weichen Fell hätte ihn vielleicht entspannt. Zumindest kurzfristig. Sebastian sieht noch einmal nach der Uhr. Es ist 15:55 Uhr. Mit seiner Therapeutin ist ausgemacht, dass er fünf Minuten vorher klingeln darf. Wenn es stark regnet, dürfen es auch schon mal zehn Minuten vor der vollen Stunde sein. Sebastian drückt auf den Klingelknopf und wartet auf das Geräusch des Türöffners. Er weiß wie lange seine Therapeutin bis zum Türöffner braucht. Aber dieses Mal dauert es länger als sonst. Sebastian nimmt einen weiteren tiefen Atemzug und spürt, wie sich sein Brustkorb nach vorne drückt. Hat er sich im Datum geirrt? Er hält kurz die Luft an, schnauft laut aus und bedauert sich. Gerne wäre er jetzt sorgloser, frei und ungezwungen. Aber er starrt weiter auf den messingfarbenen Türknopf und fragt sich, ob seine Therapeutin den Termin vergessen haben könnte. Kurz erstarrt er innerlich. Das würde ihn erschüttern. Aber dann hört er den Türsummer und seine Hand schnellt nach vorne. Fast so schnell, wie ein Chamäleon seine Zunge nach vorne schleudern kann. Wie so oft, kommt es Sebastian auch jetzt vor, als würde sein Glück von einem einzigen Moment abhängen. Er drückt die Tür auf.

 

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