Kultur # 54(BGB =)

 

Kultur # 54

BGB =
Barbara Grollt Bezugslos
Babies Gesundmachen Befriedigt
Barcelona Gestattet Butterbrote
Bahnfahrer Grölen Besinnungslos
Bernd Gratuliert Beschissen
Bandwurm Garantiert Besitzergreifend
Beischlaf Generiert Betrübnis
Beatrice Gestattet Beißen
Basiskursleiterin Glitzert Befremdlich
Beichten Gelingen Bekifft
Bachstelze Grüßt Bachstelze
Beifahrerairbag Gefallen Busen
Beigeschmack Grämt Bierbrauer
Beipackzettel Gebiert Brechreiz

 

 

 

Alltag # 84 (Marie und ihr Mutter Traum..)

Alltag # 84

Marie kann es nicht fassen. Ihre Mutter ist tot und sie kann ihr noch immer nicht trauen. Das macht sie fertig. Seit zwei Jahren gibt es diesen Mutterkörper nun schon nicht mehr und dennoch funkt er noch in ihr Leben hinein. Zeigt ihr, wer hier die Hosen anhat und das ist ganz bestimmt nicht Marie. Marie möchte mit der Welt Frieden schließen und tageweise gelingt ihr das auch. Dann ist sie mit allem was kreucht und fleucht und sogar flucht versöhnt. Sobald aber ihre Mutter auftaucht, geht ihr das Gefühl flöten. Maries Mutter hat eine unglaublich starke Ausstrahlung. Mit ihr verhält es sich, wie mit der Radioaktivität und ihrer Halbwertszeit. Es dauert ewig und drei Tage bis diese Strahlen verfallen und keine gesundheitlichen Schäden mehr anrichten. Marie fände es wirklich schön, wenn ihr ein Physiker ausrechnen könnte, wie sich das mit dem Verfallen von menschlichen Ausstrahlungen verhält. Denn ohne so einen Physiker stellt Marie nur immer wieder fest, dass die Ausstrahlung ihrer Mutter noch da ist, in scheinbar gleicher Stärke. Marie hatte gestern wirklich einen schönen Tag. Sie war mit Sebastian Eis essen und hatte danach bei Frau Berger, ihrer Therapeutin, eine gute Stunde. Abends ging sie ganz zufrieden ins Bett. Aber im Stadium des Tiefschlafs, stieg ihre Mutter in ihren Traum hinein, ohne Leiter und ohne Erlaubnis. Marie hätte ihr auch beides nicht gegeben. Im Traum war sie bei Frau Berger, sass gemütlich im Sessel, wollte ihr gerade etwas mitteilen und dann war da auf einmal – out of the blue – auch ihre Mutter. Hatte sich der Mutterkörper einfach mitten in das Zimmer von Frau Berger gebeamt. Der Mutterkörper lächelte die Therapeutin an, nahm sie an der Hand und verließ zusammen mir ihr das Zimmer. Ein paar Minuten später tauchte ein Assistent auf, der auch irgendwie der Liebhaber der Therapeutin war. Marie wollte ihn um Hilfe bitten. Er entgegnete ihr aber, dass er hochsensibel sei, und dass man ihm deswegen nichts Schlimmes schildern dürfe. Schlimmes könne er nicht aushalten. Da müsse er immer weinen und könne damit dann nicht mehr aufhören. Aber falls sie jetzt sprechen müsse, dürfe sie ihm sagen, wie groß sie sei oder welche Lebensmittel sie gerne esse, solche Dinge eben. Die könne er dann auch aufschreiben, wenn sie das wolle. Marie wollte nicht. Gleich im Anschluß sagte er, er müsse sie bitten zu gehen, denn er würde die Praxis jetzt zusperren und außerdem bräuchte sie auch nicht mehr auf Frau Berger zu warten, denn die würde nicht mehr zurück kommen. Weder heute, noch morgen, noch in den nächsten Wochen oder Monaten. Marie blieb die Spucke weg. Der Mutterkörper hatte die Therapeutin dazu gebracht, sie zu verlassen und nun stand sie wieder alleine da. Nachdem sie aufwachte, kam ihr zumindest das irgendwie bekannt vor. Nun ist ihr den ganzen Tag über schon bang und morgen wird das wahrscheinlich auch noch so sein.

 

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Alltag # 85 (Sebastian Doppelbelegung..)

Alltag # 85

Sebastian hört den Türöffner, drückt gegen den Griff und betritt den Hausflur. Er freut sich auf die Stunde. Stichwortartig hat er sich schon aufgeschrieben, was er heute besprechen möchte. Er läuft an ein paar Fahrrädern vorbei und nähert sich der zweiten Tür, wo er gleich noch einmal klingeln wird. Aber die Tür geht schon ganz ohne sein Zutun auf. Seine Therapeutin steht im Türrahmen, lächelt ihn zur Begrüßung an und sagt: »Heute haben wir ein Problem, es gibt eine Doppelbelegung!« Sebastian weiß, dass er sich bei dem Termin nicht geirrt haben kann. Er ist in solchen Dingen korrekt und überprüft immer lieber zweimal, ob er den Termin richtig eingetragen hat, denn sonst müsste er die Stunde trotzdem bezahlen. Er geht ins Vorzimmer und sieht die Doppelbelegung. Sie stellt gerade ihre Tasche neben der Tür ab, die in das Zimmer führt, in dem die Gespräche und Übungen stattfinden. Sie muss also auch eben erst gekommen sein, denkt er. Die Doppelbelegung ist in Sebastians Alter. Sie ist männlich gekleidet, ihre Gesichtszüge sind verhärmt und ihre Haut fahl. Sie geht bestimmt nicht gerne raus. Außerdem sieht sie so aus, als wäre sie bereits seit vielen Jahren auf eine Therapie angewiesen. Die Klienten, denen er sonst hier begegnet, haben meistens eine offene Art und geben ihm sogar mit einem Lächeln zu verstehen, dass sie nun Verbündete seien, da sie nun voneinander wissen, dass sie eine Therapie machen. Aber die Frau, die sich jetzt gegen das Sideboard lehnt, wirkt verschlossen und abweisend. Sebastian fühlt sich unwohl. Er mag es so gar nicht, wenn er in ein Spannungsfeld hinein manövriert wird, das nicht wirklich etwas mit ihm zu tun hat. Seine Therapeutin sagt: »Ich hole mal meinen Kalender!« und geht zum Schreibtisch. Sebastian wirft einen Blick auf die Haare der Frau. Sie sind zerzaust und wirken borstig, fast schon stachelig grob. Es sieht so aus, als würde die Frau sie gerne so tragen, damit jeder verstehen kann, wie es in ihrem Kopf zugeht. Die Therapeutin kommt zurück, blättert in ihrem Kalender, lässt ihn aufgeschlagen in der Hand liegen und sagt: »Tut mir wirklich leid, aber ihr Termin ist erst nächste Woche!« Die Frau stöhnt und sagt: »Ich habe mir das aber anders notiert!«. Die Therapeutin antwortet, sie wisse wirklich nicht, wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte. Irgendwie sei da gerade der Wurm drin. Letzte Woche habe sie im Kalender gestanden und sei nicht erschienen und diese Woche stehe sie nicht im Kalender und tauche trotzdem auf! Sebastian liebt schnelle Lösungen und wenn er jetzt die Stunde einfach der Frau überließe, wäre das Problem ruckzuck gelöst. Aus die Maus. Er könnte gehen und mit seinem Geld etwas anderes machen. Wild Kuchen essen und eine Flasche Crémant ausgeben. Sebastian denkt, ich werde jetzt einfach ein Gentleman sein, der die Situation rettet. Er mag es, wenn Menschen höflich und zuvorkommend sind. Bevor er jedoch etwas sagen kann, spricht seine Therapeutin schon wieder: »Nachdem Sie letzte Woche nicht erschienen sind, habe ich Sie doch angerufen und Ihnen mitgeteilt, dass ihr nächster Termin erst wieder in zwei Wochen ist! Kommt Ihnen das nicht doch irgendwie bekannt vor?« Die Frau schüttelt den Kopf. Die Haare bleiben dabei ohne Schwung. Sebastian erträgt es nicht, dass die Frau offenbar schon zum zweiten Mal einen Fehler gemacht hat, an den sie sich nicht erinnert. Außerdem müsste sie jetzt nochmal eine Woche warten um ihren Kummer los zu werden. Den Kummer, der ihr so ins Gesicht geschrieben steht. Die Frau sieht zu Sebastian hinüber. Zum ersten Mal. Direkt in seine Augen. Ihre Blicke sind wie die von jungen Kätzchen, die mit ihren kleinen Zungen Hände lecken möchten. Sebastians Mitgefühl schnellt in die Höhe. Dabei hat er doch schon längst beschlossen, dass es für ihn kein Problem ist, auf seine Stunde zu verzichten. Sebastian überlegt, wie er sich jetzt am besten einmischt. Soll er den Finger heben oder sich räuspern? In seinem Kopf taucht plötzlich ein Bild auf. Es ist ein Foto von ihm. Eine Nahaufnahme von seinem Gesicht. Es wurde mal für einen Familienkalender gemacht, der dann seiner Mutter geschenkt wurde. Darauf lächelt er gutmütig. Darunter hatte einer seiner Neffen mit einem schwarzen Edding einen Daumen hingekritzelt, der nach unten zeigt. Ist er zu nett? Nun wird ihm mulmig und ganz anders zumute. Geht es jetzt nicht vielleicht darum, auszuhalten, dass er gerade an erster Stelle steht und das anzunehmen was ihm zusteht. Sebastian schnauft. Er packt seinen Mut am Kragen, zieht seine Schuhe aus und anschließend ganz langsam seine Jacke. Er hängt sie an den Garderobenständer und kehrt dabei der Frau bewusst den Rücken zu.

 

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