Kultur # 14 (Melanie lädt zum Essen ein/ Frau Möller)

 

Kultur # 14

Der Termin steht bei Marie schon seit drei Wochen im Kalender. Melanie lädt zum Abendessen ein. Der Empfang findet auf der Terrasse statt. Es gibt Crémant. Als Marie ihr Glas ausgetrunken hat, kehrt auch sie zurück ins Esszimmer. Vor der Türschwelle streift sie ihre Schuhe ab. Wie es scheint als einzige. Die Macht alter Gewohnheit. Ihre Mutter hat ihr das eingebläut. Ihre Mutter hat immer Angst, dass Marie sich irgendwo kleine Steinchen in die Schuhsohle getreten hat, die dann ihren Parkettboden zerkratzen würden. Marie hat sich auf der Terrasse mit Gerald, Melanies Mann, verplaudert, und nun sind schon fast alle Stühle besetzt. Jedenfalls die Plätze neben Jackie, neben die sie sich eigentlich hat setzen wollen. Eine Künstlerin aus New York. Marie macht kein Drama daraus und setzt sich neben Frau Möller. Eine Kunstsammlerin aus München, die sie vom Hörensagen kennt. Melanie veranstaltet so ein Essen nur einmal im Jahr und das ist immer ein Ereignis. Marie nimmt ein Blatt Papier in die Hand und liest: Fünf-Gänge-Menü. Zu jedem Gericht gibt es eine Alternative für Vegetarier und eine für Veganer. Erster Gang: “Radicchio-Birnen-Walnusssalat” oder “Blanchierter Spinat mit Buratta” oder “Gebackene Weißwurst mit lauwarmen Pastinakenpüree”. Maries Speicheldrüsen bekommen einen Boost, weiterlesen kann sie jedoch nicht, Frau Möller spricht sie an. Nach zwei Minuten weiß Marie, dass sie nicht den ganzen Abend über mit Frau Möller reden möchte und ist froh, dass es auch noch den links von ihr sitzenden Tischnachbarn gibt. Nach ein paar weiteren Minuten mit Frau Möller versucht Marie sich ihm zu zuwenden und scheitert. Frau Möller zupft Marie an der Bluse und spricht weiter. Frau Möller füllt Maries Glas. Sie will mit Marie anstoßen. Marie gehorcht und hebt das Glas. Frau Möller nimmt einen Schluck und redet dann weiter auf Marie ein. Frau Möller muss magnetisch sein, denkt Marie. Sie muss Strahlen ausstossen denen ich nicht entkommen kann. Marie versucht den Wortschwall an sich abprallen zu lassen und nicht mehr so genau hinzuhören. Das gelingt ihr. Dann aber stellt Frau Möller ihr eine Frage. Marie kann sie nicht beantworten. Sie hat die Frage nicht gehört. Marie entschuldigt sich wegen ihrer Unaufmerksamkeit. Frau Möller klopft Marie auf die Schulter, lacht, und redet weiter. Marie wundert sich, dass es Frau Möller so einen Spaß gemacht hat, sie beim Weghören zu ertappen. Frau Möller sagt: »Wissen Sie, ich tue immer nur das, was ich will!« Maries Hals schwillt an. Ihre Gedanken bleiben aber auch weiterhin durch und durch lautlos. Jetzt wäre es auch nicht mehr ratsam sie auszusprechen, es liegt nichts Freundliches oder Aufgeschloßenes mehr in ihnen. Nach weiteren Minuten hat Marie ihre Grenze erreicht, steht auf, entschuldigt sich bei Frau Möller, rückt ihren Stuhl an den Tisch, greift nach der über der Stuhllehne hängenden Jacke und denkt, in einer Minute ist alles vorbei, dann stehe ich bereits vor Melanies Wohnungstür. Im Flur atmet Marie auf. Zu Hause, denkt sie, werde ich Gurke und gekochte Eier mit Mayonnaise essen. Auch das kann gut schmecken. Marie spürt, wie sich hinter ihr jemand nähert und getraut sich nicht umzudrehen. Es ist Melanie, sie hält Marie am Arm fest und sagt: »Was ist denn los?« Marie sagt: »Frau Möller.« Melanie nickt, läßt ihren Blick über die Abendgesellschaft gleiten und sagt: »Schnell, setz dich auf Arnos Platz. Arno steht gerade auf der Terrasse und telefoniert.« Marie zuckt mit den Schultern. Melanie sagt: »Wegen Arno brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Der kommt mit Frau Möller klar, da wirst du staunen!«

 

Kultur # 8 (Marie und der elektrisch geladene Zaun…)

 

Kultur # 8

Marie unterbricht ihren Spaziergang und bleibt vor einem Zaun stehen. Er ist elektrisch geladen. Dahinter stehen Kühe mit übergroßen Eutern. Keine von ihnen kann sich vom Acker machen, denkt Marie. Keine von ihnen kann die eingeführte Domestizierung mit Hufen treten. Die Abläufe sind normiert. Ihr Leben ebenso. Maries Herz rebelliert. Sie wendet ihren Blick ab und geht weiter. Setzt ihren Spaziergang fort. In ihrem Kopf, wilde Vorstellungen von Befreiung.

Kultur # 7 (Welchen Tee wollt ihr…)

Kultur # 7

»Ich bin also die Einzige, die Kaffee will und ihr wollt jetzt alle lieber Tee, den habe ich allerdings nur offenen da. Luisa, welchen willst du?«
»Das ist mir egal.«
»Und du Marie?«
»Mir auch!«
»Ute?«
»Mir wäre jetzt Schwarztee am liebsten. Nach dem Essen fühle ich mich immer so müde!«
»Schwarztee geht bei mir nicht, sonst liege ich die ganze Nacht wach!«
»Ich könnte auch einen Rooibusch machen?«
»Der schmeckt mir nicht. Ich kann diesen Vanillegeschmack nicht ausstehen!«
»Dann trinke ich halt beim Schwarztee mit!«
»Blödsinn! Ich mache einfach eine Kanne Rooibusch und eine Kanne Schwarztee.«
»Das ist doch absurd. Ich trink beim Rooibusch mit!«
»Aber der schmeckt dir doch nicht!«
»Ich werde es überleben.«
»Und du Marie, welchen Tee möchtest du? Ich habe auch noch den Blütenzauber da, den du mir mal geschenkt hast!«
»Ich wäre für den Blütenzauber!«
»Also mache ich drei Kannen! Für jede von euch eine. Das würde sich genau aufgehen, ich habe genau drei Kannen da.«
»Das ist doch totaler Quatsch! Ich vertrage halt nur den Schwarztee nicht. Sonst lieg ich wirklich die ganze Nacht wach. Das ist bei mir einfach so. Dagegen kann ich nichts machen.«
»Du brauchst nicht wach zu liegen. Jede bekommt einfach ihre Kanne und schon ist das Problem gelöst.«
»Mach doch einfach nur den Blütenzauber, der ist doch für alle okay. Oder etwa nicht?«
»Ja.«
»Ja.«
»Echt jetzt?«
»Ja, klar.«