Kategorie: Erstes Set
Ich # 1 (Die Plastiktüte…)
Ich # 1
Die Plastiktüte, die ich gerade in die Plastiktüte mit den leeren Plastiktüten stopfe, wird länger halten als ich selbst.
Lebensentwürfe # 1 (Mein Schreibtisch…)
Lebensentwürfe # 1
Mein Schreibtisch steht neben dem Fenster. Ich höre, wie Regentropfen gegen die Einfachverglasung prasseln. Ich drehe meinen Kopf vom Computerbildschirm weg und werfe einen Blick auf das Fenster. Ich fokussiere einen gerade eben erst gelandeten Tropfen und sehe ihm dabei zu, wie er an der Glasscheibe entlang nach unten läuft. Je größer die Wegstrecke wird, die er zurücklegt, umso weniger bleibt von seinem Körper übrig. Pragmatisch gesehen, sehe ich gerade dabei zu, wie ein Regentropfen auf sich selbst abrutscht. Nach ein paar Sekunden ist der Tropfenkörper komplett verschwunden. Er existiert nicht mehr. Gehört schon der alles verschlingenden Vergangenheit an. Mit ruhigem Gewissen sage ich, dass jeder Regentropfen einer Schnelllebigkeit unterworfen ist. Ja, ihr sogar völlig ausgeliefert ist. Mit Haut und Haar. Mit Regenhaut und Tropffrisur. Gerade war er noch in einer Wolke, wurde er aus ihr heraus geboren, löste er sich aus seiner Geburtswolke heraus, hatte gerade noch im freien Fall einen Körper, einen, der nur ihm gehörte, und schon ist sein Körper wieder verloschen. Kurz nach dem Aufprall auf einer Glasscheibe. Der Lebenslauf eines einzelnen Tropfens ist wirklich keiner Rede wert. Aber ein paar Worte wollte ich dennoch darüber verlieren.
Alltag # 1 (Ich bin immer…)
Alltag # 1
Ich bin immer mich.
Alltag # 2, (Ich wache auf…)
Alltag # 2
Ich wache auf und bin nicht vorbereitet.
Du # 1 (Dass ich nicht…)
Du # 1
1. dass ich nicht aufstehe
2. dass ich Gespräche unterbreche
3. dass ich anderen keine Fragen stelle
4. dass ich nicht zuhöre
5. dass ich Komplimente nicht aushalte
6. dass ich die Schuhe nicht putze und die Absätze nicht neu besohlen lasse
7. dass ich den Kühlschrank nicht abtaue und das Eisfach komplett zufrieren lasse
8. dass ich meinen Nachbarn wegen seiner Trunksucht belächle
9. dass ich den Tieren, die mir bisher begegnet sind, keine gute Reise gewünscht habe
Kultur # 1 (MMS…)
Kultur # 1
MMS =
Melde Mich Später
Möchte Mehr Sex
Mach Meinetwegen Schokoladenkuchen
Mehr Menschen Sterben
Merke Mir Sorgen
Möchte Mehrere Sonnen
Alltag # 3 (Mein Kopf…)
Alltag # 3
Mein Kopf ein Kaktusgarten.
Lebensentwürfe # 2 (Das Café…)
Lebensentwürfe # 2
Das Café hat einen Bereich im Freien. Ein schmaler kleiner Streifen auf dem Gehsteig ist bestuhlt. Kleine Tische aus Holz stehen dazwischen. Ich setze mich, hole die Zeitung aus meiner Tasche, schlage das Feuilleton auf und beginne zu lesen. Ein Mann bleibt vor mir stehen, wirft einen Blick auf die aufgeschlagene Seite und fragt mich, wer das da auf dem Foto sei, er kenne den Mann, wisse aber gerade seinen Namen nicht mehr. Das ist Willy Rosen, sage ich. Ja, genau, sagt er. Wiederholt seinen Namen und erzählt mir, dass dieser Willy Rosen ein guter Komponist gewesen sei und dass er selbst auch ganz gut Klavier spielen könne, und dass er mir sehr gerne etwas vorspielen würde. Er würde hier gleich um die Ecke wohnen, dort vorne rechts. Er nennt mir seine Hausnummer und seinen Nachnamen. Ich könne jederzeit vorbeikommen, meint er, und bei ihm klingeln. Er würde mir jederzeit etwas vorspielen. Er würde das wirklich sehr gerne machen. Der Mann geht weiter, wartet erst gar keine Reaktion von mir ab. Ich vermute aber, dass er etwas von meinem Gesicht ablesen konnte, was mir selbst noch gar nicht bewusst war. Ich sehe dem Mann nach. Seinen Nachnamen habe ich bereits vergessen. Ich höre, dass er noch etwas sagt. Nichts davon ist zu verstehen. Ich schaue zurück auf meine Zeitung, blättere um und denke: Einsamkeit hat verschiedene Farbschattierungen. Einige kenne ich. Andere nicht. Die Farbe, die zu dem Mann gehört, kommt mir dunkler vor als meine.
Kultur # 2 (Roberta…)
Kultur # 2
Roberta Rauschenberg
Andrea Warhol
Gerda Richter
Josefa Beuys
Klara Oldenburg
Rosa Lichtenstein
Violetta Gogh
Mario Bellt
Alltag # 4 (Die vertrockneten…)
Alltag # 4
Die vertrockneten Perspektiven.
Ich # 2 (Dass Martin sich…)
Ich # 2
Dass Martin sich von mir getrennt hat, hat nicht dazu geführt, dass ich mich auch von Martin getrennt habe. Wie es auch nie dazu führt, dass, wenn ich meine Armbanduhr ablege, ich damit auch die Zeit ablege.