Wünsche # 38 (Sebastian bucht ein Seminar …)

Wünsche # 38

Sebastian sitzt am Schreibtisch und klickt auf die gerade eingetroffene E-Mail. Endlich, denkt er, werden mir die notwendigen Informationen zugeschickt. Obwohl es für Sebastian ein Graus ist, mit Menschen in einem Kreis zu sitzen und etwas von sich Preis zu geben, konnte er sich im Juli einen Ruck geben und ein dreitägiges Seminar buchen. Es findet nur zweihundertfünfzig Kilometer von seinem Wohnort entfernt statt. Also machbar. Als er sich vor vier Monaten dafür angemeldet hat, hat er sich in seinem Kalender auch gleich die Tage dafür blockiert. Sebastian will etwas in Angriff nehmen, ins Auge fassen. Er will sich seinem Ausweichen stellen. Sebastian findet, dass so vieles in seinem Leben belanglos, gleichförmig, stupide und schal ist. Und er will noch nicht aufgeben mehr zu wollen! Diese Stagnation, die die Lebensfreude auf der Strecke lässt, lässt sich doch ändern! Das Seminar wird mein Rohrverstopfungsreiniger sein, denkt Sebastian. Es wird mich durchpusten. Mich befreien. Die Leiterin, die auf ihrer Webseite ein äußerst sympathisches Video veröffentlicht hat, wird dafür die richtigen Worte haben. Sie ist geschult, erfahren und kann emotionale Abläufe durchschauen. Sebastian geht davon aus, dass sie bei ihm etwas bewirken wird und auch davon, dass das Seminar bei ihm etwas auslösen wird. In der Natur wird auch ständig etwas ausgelöst. Zum Beispiel lösen dort Temperaturen etwas aus. Eine Temperatur löst Regen aus, eine andere Schnee und wieder eine andere die Schneeschmelze. Also warum sollte so ein Seminar nichts bei mir auslösen können! Außerdem ist es auch mal an der Zeit, das etwas angestoßen, aufgestoßen, entlarvt wird. Es soll und wird und muss auch mal voran gehen. Sebastian spürt, wie sich sein Brustkorb weitet. Sich die Muskulatur in seinem Nacken entspannt. Auch seine Augen. Sebastian findet, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Ich habe zugelassen, dass etwas geschehen kann. Sebastian ist mit sich zufrieden, atmet tief durch, unterbricht seine Gedanken, schaut zurück auf den Bildschirm und konzentriert sich auf die vor ihm stehenden Zeilen. Man solle das Geld für das Seminar in bar mitbringen, steht da. Weiter liest er, dass man vor Ort nicht mit Karte bezahlen kann. Sebastian findet aber keine Information darüber, ob er schon bezahlt hat. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, ob er den Betrag bereits vor ein paar Monaten überwiesen hat. Er denkt schon, aber eine schriftliche Betätigung wäre ihm lieber. Sebastian sucht in seinem Eingangspostfach nach weiteren E-Mails, die das Seminar betreffen. Er findet aber nur eine einzige weitere E-Mail und die bestätigt nur, dass er sich angemeldet hat und mehr nicht. Sebastian seufzt und beschließt nachher seine Kontoauszüge zu durchforsten. Weiter steht da, man solle bequeme Kleidung mitbringen und eine Decke. Aus Energiespaargründen wird es so sein, dass der Raum nicht, wie sonst üblich, so gut beheizt werden kann. Mein Weekender wird mit einer warme Decke bereits voll sein, denkt Sebastian, und erinnert sich daran, dass er auch noch kein Hotel gebucht hat. Er sucht in der E-Mail nach der Adresse des Veranstaltungsortes, um eine möglichst nah gelegene Unterkunft zu finden. Auch benötigt er noch die Seminarzeiten, um entscheiden zu können, wann genau er losfahren muss, um pünktlich vor Ort zu sein. Aber weder die Adresse des Veranstaltungsorts wird in dem Schreiben erwähnt, noch steht da etwas über die Seminarzeiten. Sebastian schnauft. Auf einmal kommt ihm alles so umständlich vor. Beschwerlich. Nicht mehr der Mühe wert. Auch befürchtet er, in einem schrecklich eingerichteten Hotelzimmer übernachten zu müssen und während des Seminars nur ungesundes Zeug essen zu können und, dass er keinen von den anderen Teilnehmern sympathisch finden wird. Die Freude etwas in Gang gebracht zu haben schmilzt ihm unter den Fingern weg.

 

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