Wünsche # 43 (Mit Mutter essen gehen…)

Wünsche # 43

Gingen wir als Familie essen, war das mit meiner Mutter immer so eine Sache. Wir machten an den Wochenenden mit unseren Fahrrädern oft Tagesausflüge und kehrten dann zu Mittag irgendwo ein. Meine Mutter durfte aussuchen, in welchem Restaurant wir speisen würden. Meistens wählte sie eines, das ihren ästhetischen Vorlieben entsprach. Aber nie landete etwas auf ihrem Teller, was sie glücklich gemacht hätte. Mein Vater war an solchen Tagen spendabel, ihm war wichtig, dass wir zufriedene Gesichter machten. Aber meiner Mutter gelang es nicht, sich selbst zufrieden zu stellen. Mein Vater, meine Schwester und ich waren schon längst soweit, eine Bestellung aufzugeben, aber meine Mutter hielt noch die Speisekarte fest. Die Bedienung war schon mehrmals am Tisch und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen, denn meine Mutter schwankte noch zwischen diversen Gerichten. Meine Mutter war gefangen. Nie konnte ich herausfinden oder begreifen, worum es da ging. Es musste um etwas Zähes gehen, um etwas, das sich nicht leicht auflösen ließ. Stand das Gericht vor ihr, war schon nach dem ersten Bissen klar, dass sie sich für das falsche entschieden hatte. Kurz angebunden sagte sie: „Ich hätte doch etwas anderes nehmen sollen!“ Danach schwenkte sie ihre Gabel nach links oder nach rechts, je nachdem wo mein Vater saß, besuchte seinen Teller und sagte: „Dein Essen schmeckt aber gut!“ und sah traurig aus. Da meine Schwester und ich schon vorher wussten, wie das ablaufen wird, ermahnten wir sie oft und sagten: „Aber Mama, das schmeckt dir doch gar nicht! Bestell dir doch etwas anderes!“ Unsere Mutter entgegnete dann nur: „Aber heute will ich halt mal das!“ und schon ging es wieder schief. Meine Mutter hatte es nicht geschafft, dieses Verhalten aufzulösen. Bis zu ihrem Tod blieb es an ihr haften.

 

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