Wünsche # 12 (Marie und Sebastian gehen Essen…)

Wünsche # 12

Marie will mit Sebastian Essen gehen. Am Telefon bespricht sie mit ihm, wo genau sie heute Abend ihre Zungen mit Köstlichkeiten verwöhnen wollen. Ihre Bedürfnisse stimmen überein. Beide wollen im Freien sitzen, auf bequemen Stühlen und im Hintergrund soll keine Musik laufen. Auch wollen sie Abwechslung und Anregung in ihrem Blickfeld haben. Sie entscheiden sich für das Restaurant auf dem Schiff. Damit haben sie bereits gute Erfahrungen gemacht. Auch mögen sie, dass das Schiff auf dem Fluss liegt, der sich durch ihre Stadt schlängelt. So können sie den vorbeifahrenden Booten zusehen und falls es nötig sein wird, über Passagiere lästern. Was sicherlich nötig sein wird. Sie wollen sich um sieben Uhr treffen. Beide sind pünktlich. Schon im Eingangsbereich kommt ein Kellner auf sie zu. Für Marie ist es erfreulich, dass der Kellner die oberen drei Knöpfe seines Hemdes offen gelassen hat. Marie gefällt das. Der Kellner wendet sich an Sebastian und sagt, es tue ihm wirklich Leid, aber er habe keinen freien Tisch mehr. Das Bedauern des Kellners ist aufrichtig. In seiner Stimme liegt keine Spur von verschleimter Höflichkeit. Der Kellner deutet auf die Schilder, die dafür verantwortlich sind, dass Marie und Sebastian sich nicht setzen können. »Vor Corona«, sagt er, »hättet ihr hier noch jeden Abend einen Tisch bekommen, nur jetzt geht ohne Reservierung nichts mehr.« Marie denkt, die umliegende Luft wird von seiner Stimme gestreichelt. Weiter denkt Marie, ich will hier einen Tisch haben, hier meine Bestellung aufgegeben und von ihm bedient werden. Der Kellner klappt seinen Ziehharmonikageldbeutel auf und drückt Sebastian eine Visitenkarte in die Hand. »Falls ihr wieder kommen wollt, ruft bitte vorher an.« Sebastian bedankt sich, steckt die Karte ein und verabschiedet sich. Auf dem Gehweg angekommen, schlägt Sebastian vor, zum Italiener zu gehen. Zu dem, der nur zwei Ecken weiter liegt. Maries Hunger ist groß. Sie stimmt zu. Vor einer Hauptverkehrstrasse stehen viele Tische. Die meisten davon sind nicht belegt. Das Ambiente lässt sich für Marie mit wenigen Worten beschreiben. Plastiktische. Plastikstühle und in Plastik eingeschweißte Speisekarten. Sebastian bestellt eine Pizza. Marie Gnocchi. Sebastian meint: »Das ist doch ganz ok hier oder?« »Wenn ich ehrlich bin«, sagt Marie, »finde ich es grauenhaft hier!« Sebastian sagt: »Du bist doch bloß enttäuscht, dass das mit dem Schiff nicht geklappt hat und kommst jetzt über die Enttäuschung nicht hinweg.« Marie wechselt das Thema und sagt: »Ist dir das mit der Visitenkarte gar nicht aufgefallen? Der Kellner hat nur dir eine Visitenkarte in die Hand gedrückt. So ein Verhalten regt mich total auf!« Sebastian sagt: »Nimm das doch nicht so ernst. Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht.« »Ich will aber nicht übergangen werden oder nur als dein Anhängsel gesehen werden!« Sebastian dreht sich eine Zigarette. »Dass du dich aber auch immer so schnell aus der Fassung bringen lässt! Das kommt bestimmt von der Leber.« »Nein, das kommt von meinen Wünschen, die, auch wenn sie nicht besonders kompliziert sind, einfach nicht erfüllt werden.« Sebastian erwidert nichts. Marie will noch mehr dazu sagen, tut es aber nicht. Während dem Essen vorbeifahrenden Autos zuhören zu müssen, löst bei Marie Müdigkeit aus. Marie sagt: »Nach dem Essen werde ich noch einen doppelten Espresso bestellen und Eiscreme oder Tiramisu oder Panna Cotta oder Panna Cotta und eine Kugel Schokoladeneiscreme.« Sebastian sagt, er wolle nach dem Essen gleich nach Hause. Er wolle jetzt in Ruhe in seinem Bett liegen und sein Buch weiterlesen.

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