Lebensentwürfe # 31 (Beate trennt sich von Klaus …)

Lebensentwürfe # 31

Marie läuft mit der Masse durch die Ankunftshalle Richtung Ausgang. Es werden Durchsagen gemacht, keine betrifft sie. Das Gewicht ihrer Reisetasche lastet auf der rechten Schulter. Sie hängt sie um, den Riemen auf die linke Seite. Im Gehen. Sie will keine Zeit verlieren. Endlich sieht sie die Rolltreppe. Marie lässt sich nach unten fahren und spürt ihre trockenen Lippen. Von der Luft im Flugzeug. Der obere und untere Rand brennen. Im mittleren Teil stehen Hautfetzen ab. Marie zupft sich ein paar von den abstehenden Teilen ab und lässt sie in den Spalten der Rolltreppe verschwinden. Dann befeuchtet sie ihre Lippen mit der Zunge. Speichel hilft aber nicht mehr. Fett wäre besser. Sie bräuchte ihren Balsam, der in ihrem Kulturbeutel liegt. Gerade als sie sich entscheidet in ihrer Tasche nach ihm zu kramen, entdeckt sie ein paar Stufen unterhalb von ihr, Beate. Sie weiß, dass es nur sie sein kann. Der teure und nachhaltige Kleidungsstil. Die gut geschnittenen Haare und die Art, wie sie dasteht. So überaus selbstbewusst. Beate würde man sofort einen hohen Posten anbieten und sie würde ihn auch managen. Nicht so wie ich, denkt Marie. Sie steigt die paar Stufen nach unten und tippt Beate auf die Schulter. Beate dreht sich um. »Das darf doch nicht wahr sein, was für ein Zufall! Treffen wir uns ausgerechnet hier am Flughafen! Wie gehts dir denn?« Marie schlägt vor, in den nächsten Tagen mal zu telefonieren, denn jetzt müsse sie schnell den Regionalexpress erwischen. Beate unterbricht sie: »Das kommt überhaupt nicht in Frage, wir nehmen dich im Auto mit. Klaus wartet schon auf dem Parkplatz!« Marie protestiert, sie wohnt in einem ganz anderen Stadtteil als die beiden. Beate hakt sich bei Marie unter und sagt: »Du büchst mir jetzt nicht aus, nachdem wir uns so lange nicht gesehen haben! Klaus fährt dich gerne nach Hause. Basta!« Beate zieht sie Richtung Parkplatz und Marie gibt ihr Widerstreben auf. »Stell dir vor«, sagt Beate, »ich komme gerade aus Paris. Ich habe dort zehn wundervolle Tage mit meinem Geliebten verbracht. Weißt du, diese Tage waren für uns eine Art Testlauf. In einem gemeinsamen Urlaub kann man am besten herausfinden, ob man gut zusammen passt. Und nun finden wir, dass das Aussicht auf was Festes hat. Ich bin so aufgeregt. Sobald wir dich nach Hause gebracht haben, werde ich Klaus sagen, dass ich die Scheidung einreiche und morgen zieh ich dann erst einmal zu einer Freundin nach Hamburg.« Marie sieht in Beates fröhliches Gesicht und registriert ihren Lippenstift. Er ist perfekt aufgetragen. Nicht einmal der kleinste abstehende Hautfetzen ist zu sehen. Wie immer. Beate zwinkert Marie zu und steuert einen dunkelblauen Audi an. Klaus steigt aus, begrüßt Marie erfreut und schnappt sich dann Beates großen Koffer. Beate macht ebenfalls einen Schritt auf den Kofferraum zu, um ihre Duty-Free Tüte zu verstauen. Beates und Klaus’ Hand kommen sich nahe. Für einen kurzen Moment glaubt Marie, dass gleich ihre Eheringe gegeneinander stoßen und dann aufplatzen, weil sie es auch schon wissen. Auf Maries Unterarmen stellen sich Haare auf. Beate lässt Klaus wissen, dass sie Marie nach Hause fahren werden. Klaus nickt und sagt: »Das machen wir doch gerne, gib mir deine Tasche, ich verstaue sie auch im Kofferraum!« Nachdem Klaus den Kofferraumdeckel zugeschlagen hat, streichelt er Beate sanft über den Rücken. Marie wird rot. Es ist ihr sehr unangenehm, Komplizin zu sein. Klaus geht seitlich am Auto entlang und öffnet Beate die Beifahrertür. Marie öffnet sich selbst die Tür und steigt hinten ein. Während Klaus zur Fahrertür geht, muss sie ununterbrochen daran denken, was ihm heute noch bevorsteht. Sie würde ihm gerne helfen. Klaus steigt ein, schnallt sich an, fährt los, und fragt Beate, wie es in Paris war. Marie starrt auf das Display ihres Telefons und hätte jetzt gerne ihre Kopfhörer da. Die könnte sie sich aufsetzen. Sich einfach die Ohren zuhalten dürfen nur Kinder.

 

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Lebensentwürfe # 29 (Die Therapeutin, warum sagen Sie nichts …)

Lebensentwürfe # 29

Die Therapeutin wendet ihren Blick von Sebastian ab, sieht auf die Uhr und sagt: »Die Stunde ist in ein paar Minuten schon wieder zu Ende, davor möchte ich aber noch eine Übung mit Ihnen machen, bitte legen Sie sich auf das Sofa!« Sebastian nickt. Er sitzt auf einem quadratischen Polster, das auf dem Boden liegt. Er stützt sich mit den Händen seitlich auf dem Boden ab, steht auf und geht Richtung Sofa. Er will der Aufforderung seiner Therapeutin nachkommen. Das Sofa steht an der Wand neben der Tür. Kurz davor bleibt er stehen und zupft seinen Hosenbund zurecht. Die Hose war ihm beim Aufstehen etwas nach unten gerutscht. Dann legt er sich auf den Rücken und seine Arme seitlich neben den Körper. Er wartet. Seine Therapeutin schweigt. Das wundert ihn. Er schweigt auch. Nach einer Minute sagt sie, er habe überhaupt nicht nachgefragt, worum es bei der Übung gehe. Er liefere sich ihr einfach aus. Auch Sebastian fällt jetzt auf, dass er sich sofort ergeben hat, so, als sei es einfach seine Pflicht zu gehorchen. »Warum«, sagt seine Therapeutin, »fragen Sie nicht nach, um sich abzusichern?« Sebastian kann ihr das nicht beantworten, aber er kennt das Gefühl. Das Gefühl etwas befolgen zu müssen, egal wie schlimm es dann für ihn ausgehen könnte. Die Therapeutin sagt: »Sie haben sich wie ein Schlachtpferd verhalten. Wie fühlen Sie sich denn jetzt?« Sebastian sagt: »Ich liege angespannt da und versuche mich zu entspannen.« Die Therapeutin antwortet: »Sie brauchen sich nicht zu entspannen. Nehmen Sie nur wahr, dass Sie angespannt daliegen, in Erwartung dessen, was nun auf Sie zukommt. Denn Sie wissen ja immer noch nicht, was gleich auf Sie zukommen wird.« Sebastian spürt eine Erleichterung. Er darf angespannt bleiben. Zumindest das gelingt ihm gut.

 

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