Blitzlicht # 54 ( Chor und Chorona…)

Blitzlicht # 54

Ich bedauere es sehr, dass mein Chor Corona nicht überlebt hat. Auf einmal sollte jeder zu allen anderen acht Meter Abstand halten, weil die Aerosole bei Singenden stärker beschleunigt werden als bei Sprechenden. Das war dann aber kein Chor mehr, nur noch eine löchrige Versammlung von zwanzig Menschen, die sich im gleichen Raum aufhielten. Danach haben wir auch nicht wieder zusammengefunden. Der einmal erzwungene Abstand blieb weiter bestehen. Mir kam der Chor wie ein Gummiband vor. Hat es sich erst einmal ausgeleiert, reicht der Wunsch, dass es sich doch wieder zusammen ziehen möchte, einfach nicht aus.

 

 

Blitzlicht # 47 (Eliza und Froni/ Freundschaft)

Blitzlicht # 47

Eliza ist seit drei Jahren eine Freundin von Sebastian und jetzt ist er mit ihr an einem kritischen Punkt angelangt. Natürlich weiß er, dass es in Freundschaften Probleme geben kann. Er weiß auch, dass Freundschaften zu Bruch gehen können. Es ist nicht das erste Mal, dass er so etwas erlebt. Auch ihm ist das schon passiert. Mit Froni. Sie hatte er so gern, dass er über Jahre der festen Überzeugung war, das reiche für eine lebenslange Freundschaft aus. Und dann war dem doch nicht so. Aus heutiger Sicht findet er das, was damals geschehen ist, absurd. Froni hat er an der Uni kennengelernt. Sie studierten beide Produktdesign. Nachdem er seinen Abschluss in der Tasche hatte, ist er nach Hamburg gezogen und Froni ist in Wien geblieben. Sie hatten das als Vorteil gesehen, weil sie sich nun gegenseitig besuchen konnten, und zwar in den Städten, die ihnen beiden am Herzen lagen. Das lief prima. Jahrelang besuchte er sie in Wien und sie ihn in Hamburg. Da sie während des Studiums auch zusammen gewohnt hatten, kannte er Froni gut, also auch die Eigenart, die später den entscheidenden Ausschlag gegeben hatte: Ihren Geiz. Den hat sie ausgiebig praktiziert, der war für alle offensichtlich und unübersehbar. Jahrelang hat ihn das nicht gestört, aber ein einziges Mal ärgerte ihn ihre Knausrigkeit dann doch. Er traut es sich kaum auszusprechen aber der Grund für die Trennung war ein leerer Kühlschrank. So banal. Er weiß das. Dabei war es ja eigentlich nur so, wie es immer war. Kam er zu ihr, war ihr Kühlschrank leer. Kam sie zu ihm, war sein Kühlschrank voll mit kostbaren Leckereien. Ihm machte das Freude, sich so auf ihren Besuch vorzubereiten. Er hatte das nie beanstandet und auch nie als beanstandenswert empfunden. Es war einfach so. Einfach etwas, das sie unterschied. Aber dann ist er wieder einmal bei ihr in Wien, öffnet wieder einmal ihre Kühlschranktür und sieht wieder einmal, dass keine Butter da ist, kein Aufschnitt, kein Käse, kein Gemüse, kein Obst, kein Joghurt und ihm reißt die Hutschnur. Das hat ihn selbst völlig überrascht. Danach besuchte er sie nicht mehr. Seit einigen Jahren versucht er sie zu googeln. Vergebens. Froni hat so einen Allerweltsnachnamen. Er möchte sie um Verzeihung bitten, ihr sagen, wie blöd er damals war. Dass er heute gar nicht mehr verstehen kann, dass er wegen nicht vorhandener Lebensmittel nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dass er sie deshalb für engspurig, ungastlich und komplett ichbezogen gehalten hatte. Und aus diesem Grund misstraut er nun auch dem Impuls, den er seit Tagen wegen Eliza mit sich herumträgt. Denn auch die Freundschaft mit Eliza möchte er hinschmeißen. Seit ein paar Tagen ertappt er sich immer wieder bei dem Gedanken, dass ihn nur noch das abrupte Beenden dieser Freundschaft retten kann. Aber gleichzeitig fragt er sich auch, ob er das nicht maßlos übertreibt. Denn er könnte über den Vorfall auch einfach hinwegsehen. Bisher hat er bei Eliza noch nie etwas als grob empfunden. Er freut sich jedesmal, wenn er sie sieht und konnte bisher auch in ihrem Gesicht ablesen, dass sie sich auch über ihn freut. Ihre Augen strahlten dann. Eliza findet seine einfachen Vorschläge gut. Er überlegt sich oft nur, wo sie spazieren gehen oder was sie im Museum ansehen könnten. Und sie mag es auch, wenn er einfach nur zu ihr kommt, sie dann gemeinsam eine Serie ansehen und dabei Rotwein trinken, Chips und Schokolade essen. Und ihm gefällt das auch. Aber jetzt hängt alles an einem seidenen Faden und er muss entscheiden, ob er für sie oder gegen sie ist. Vor ein paar Tagen hatte er ihr vorgeschlagen, am Sonntag aufs Land zu fahren, wo es einen waldumrandeten See gibt mit wunderbar klarem und fast schon türkisfarbenem Wasser und einen Wanderweg drumherum. Alles schön schattig. Eliza antwortete ihm mit einer SMS, sie hätte zu tun und könne am Sonntag nicht. Aber am Sonntag Abend gegen zweiundzwanzig Uhr kam dann eine SMS von ihr. Sie wäre jetzt doch an diesen Ort gefahren, den er vorgeschlagen hatte, und sei dort Spazieren und Schwimmen gewesen, sie fand es herrlich, sie sei allein dort hingefahren. Und seither trägt sein Gehirn diesen grauen Schleier. Noch weiß er nicht, ob er seinen destruktiven Gefühlen nachgeben wird. Und wie destruktiv er sein muss, um seine Angst in Schach zu halten.

 

 

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Blitzlicht # 48 (Kniebeben bei Mutterbesuch…)

Blitzlicht # 48

Sebastian sitzt im Wohnzimmer seiner Eltern. Sein Vater sagt etwas Blödes und seine Knie beginnen zu beben. Er weiß, dass das Wohnzimmer jetzt nicht von seinen Knieeruptionen ausgelöscht werden wird. Nichts wird jetzt durch die Eruptionen seiner Knie von einer Sekunde zur anderen zum Teil einer bereits untergegangen Zeit. Das Wohnzimmer wird einfach weiter bestehen und der Nachmittag mit seinen Eltern auch.

 

 

Blitzlicht # 44 (Tonarbeit fällt von der Wand…)

Blitzlicht # 44

Gestern ist in der Galerie Joanas Tonarbeit zu Bruch gegangen. Der Galerist meinte, das sei während des Aufbaus passiert. Das liege wohl an der Vorrichtung, die sie angebracht hätte. Joana fand das komisch, denn bei ihr im Atelier hat die Aufhängevorrichtung gehalten. Weil in zwei Tagen schon die Eröffnung ist, ist sie schnell zur Galerie geradelt. Als sie ankam, telefonierte der Galerist gerade und gab ihr zu verstehen, dass sie warten solle. Joana wartete zwanzig Minuten. Dann bat er sie ins Büro. Joana fragte nach, ob die Versicherung den Schaden übernehmen würde. Er lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und sagte, er möchte sie eins gerne wissen lassen: Es gäbe zwei Sorten Künstlerinnen, die coolen und die uncoolen. Die uncoolen würden immer einen Terz machen, die würden immer gleich nach der Versicherung schreien und andere beschuldigen, etwas falsch gemacht zu haben. Aber die coolen, die würden sofort verstehen, dass auch mal etwas schief gehen kann und würden die Chance, dass sie ausgestellt werden, nutzen. Die wollen nicht, dass ihre Arbeiten im Atelier verrotten. Und dann meinte er noch, dass er aus Erfahrung wisse, dass aus den uncoolen nie etwas werden würde, aber aus den coolen schon. Denn die coolen seien diejenigen, die schnell etwas Neues machen würden und das Werk dann noch rechtzeitig vor der Eröffnung selbst in die Galerie bringen würden.