Wünsche # 40
Er schiebt das Telefon zurück in seine Hosentasche und spürt, wie sich seine Laune verschlechtert. Mit seinen fünfundsiebzig Jahren beißt er jetzt die Zähne zusammen wie ein trotziges Kind. Dass er mit dem Druck seinen Zähnen schadet, ist ihm bewusst. Trotzdem will er den Kiefer nicht locker lassen. Er will den Zähnen weiterhin den Druck zumuten. Er hat Sebastians Nachricht zur Kenntnis genommen. Er denkt sich, dass er doch genug Lebenserfahrung hat, auch mit jungen Leuten. Aber das hilft ihm jetzt herzlich wenig. Sein Ärger lässt sich nicht so einfach aus seinem Körper hebeln, wie man einen Nagel aus der Wand zieht. Außerdem spürt er ihn nicht nur an einer Stelle, sondern im ganzen Körper. Der Ärger füllt ihn aus, wie schmutzige Wäsche die Trommel einer Waschmaschine. Ich habe mir doch Mühe gegeben, sagt er sich, und schiebt die Ärmel seines dunkelgrauen Pullovers hoch. Erst den linken und dann den rechten, beide bis über die Ellenbogen. Ihm ist nach kühler Luft auf der Haut. Sogar an den Computer hat er sich gesetzt und im Internet nachgesehen, was kulturell gerade so geboten wird. Es dauerte bis er sich da zurecht gefunden hatte. Bestimmt saß er mehr als eine Stunde vor dem Bildschirm auf der Suche nach einem guten Vorschlag. Er wollte etwas finden, was seinen Sohn interessiert. Und weil er wußte, dass Sebastian sich für Literatur begeistern kann, schlug er die Ausstellung von Anna Louise Karsch in Halberstadt vor. Genau das Richtige für einen Vater-Sohn-Ausflug. Er war sich sicher, dass Sebastian sich über den Vorschlag freuen würde. Etwas über eine relativ unbekannte Dichterin zu erfahren, ist doch genau sein Ding. All das waren seine Gedanken. Es gab gar keine Zweifel. Deshalb hatte er für übermorgen auch ein Mietauto reserviert. Aber nun ist die Grenze da. Zack. Sebastian hat den Schlagbaum nach unten sausen lassen. Und dafür hat es nur eine Textnachricht gebraucht. »Ich komme nicht mit.« Vier Worte und schon war die Sache für ihn erledigt. Das zu tippen hat ihn vielleicht fünf Sekunden gekostete. Mehr Zeit musste er dafür nicht investieren. Fünf Sekunden und schon ist das Treffen ins Wasser gefallen.