Alltag # 31
Sebastian betritt die Bäckerei. Es ist morgens um acht. Stoßzeit. Drei Verkäuferinnen arbeiten hinter der Theke. Vor ihm müssen noch sieben Personen bedient werden. Sebastian möchte unbedingt die S-Bahn um sieben nach noch erwischen. Endlich ist er dran. Die Verkäuferin, die ihn bedient, ist neu. Sie ist in Sebastians Alter, hat ein ebenmäßiges Gesicht, dunkle glatte Haare, ungezupfte Augenbrauen und trägt auf ihrem Unterarm ein Tattoo. Eine schwarze Lilie. Sebastian bestellt bei ihr einen doppelten Espresso. Die Verkäuferin befüllt ein Sieb, streift das überflüssige Kaffeepulver ab, drückt das Kaffeepulver fest und setzt das Sieb ein. Beide, die Verkäuferin und Sebastian beobachten wie ein dünnes schwarzes Rinnsal aus der Tülle des Siebträgers läuft. Die Verkäuferin zieht den Pappbecher unter der Maschine hervor und fragt Sebastian, ob er noch etwas von der warmen geschäumten Milch in seinen Espresso haben möchte. Wie charmant, denkt Sebastian, sie will meinen Espresso aufwerten. Solch großzügiges Verhalten löst bei Sebastian ganz schnell ein Gefühl von Wärme aus. Sebastian lächelt die Verkäuferin an und nickt. Die Verkäuferin hält das Milchgefäss schräg, löffelt extra viel Milchschaum in Sebastians Kaffeebecher und nennt Sebastian den Preis für einen doppelten Espresso. Sebastian legt Kleingeld auf die Theke, sagt: »Stimmt schon!« und greift nach dem Becher. Sebastian tritt ins Freie, geht zum nächsten Straßenbaum und kippt den Espresso Macchiato aus. Die Grashalme verfärben sich braun. Sebastian hasst heiße Milch. Schon alleine bei der Vorstellung, dass die Kapillaren auf seiner Zunge alle Nuancen von Milch wahrnehmen müssen, wird ihm übel. Sebastian überlegt, ob er morgen in eine andere Bäckerei gehen soll. Auch wenn diese dann nicht so direkt auf dem Weg zur S-Bahn liegt.
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