Alltag # 108
Marie bedauert, dass sie sich gleich mit ihren Beinen vorwärts bewegen muss. Sie sitzt bei Anna auf dem Sofa und will zu Marcel hinüber. Aber sie möchte nicht die Muskeln anspannen, sich hochdrücken, gerade hinstellen und diszipliniert zu ihm hinüber gehen. Mit ihrem Glas in der Hand, das schon wieder leer ist. Sie möchte sich jetzt rund machen und vom Sofa kugeln. Sich kugelnd vorwärts bewegen. Die Vorstellung muntert sie auf. Sie könnte sich einfach von Anna wegkugeln, hinüber zu Marcel. Bei ihm ist die Weinflasche. Er gießt sich auch gerade selbst welchen ein. Und die Tüte Chips ist auch bei ihm. Und später, in ein oder zwei Stunden könnte sie Annas Wohnung auch einmal anders verlassen als gehend. Sie könnte nach Hause kugeln. Die Treppe hinunter, den Bürgersteig entlang, in die U-Bahn hinein und wieder hinaus und morgen auch gleich noch zur Arbeit. Und auf dem Weg zur Arbeit gäbe es plötzlich auch noch andere Mitkugler. Über Nacht wäre bei vielen das Bedürfnis entstanden, das nun nicht mehr zurückzuhalten ist. Auch die Tagesschau würde davon berichten müssen. Marie überlegt, ob sie das mit dem Kugeln Anna und Marcel vorschlagen soll. Entscheidet aber, dass es besser ist, es ihnen vorzumachen. Marie rollt sich ein. Gleich wird sie vom Sofa kugeln. Es muss einfach einmal etwas unterbrochen werden. Alltag. Normen. Routinen. Trivialitäten. Befangenheiten. Marie hat genug davon.