Alltag # 90 (Katze aufpassen Sofa und das Sofa)

Alltag # 90

Marie verlangsamt ihr Tempo um angenehmer die Treppen hochsteigen zu können. Sie will in den vierten Stock. Milena ist verreist und jetzt wird sie auf ihren Kater aufpassen und bei ihr wohnen. Marie soll ihm Futter geben und ihn unterhalten. Denn Milena findet, dass der Kater jetzt, wo er alt ist, besonders viel Zuspruch braucht. Auch glaubt sie, dass er länger lebt, wenn sie ihm viel Gutes tut und seinen Tod will sie noch so lange wie möglich hinauszögern. Früher hat sie Mr. Gray einfach von ihrer Nachbarin versorgen lassen, wenn sie weg musste. Die hat ihm dann zweimal am Tag Futter hingestellt und die restliche Zeit war er alleine in der Wohnung. Das hat Milena zugelassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber jetzt nimmt sie mehr Rücksicht auf ihn. Jetzt will sie ihm keinen zusätzlichen Stress zumuten und ihn in bester Gesellschaft wissen. Deshalb sollte Marie anreisen. Marie wollte aber nicht wegen einem alten Kater drei Tage frei nehmen und hat versucht Milenas Bitte auszuschlagen. Ist aber nach zwei Minuten eingeknickt. Marie steckt den Reserveschlüssel, den ihr Milena per Post zugeschickt hat, ins Schloss und öffnet die Tür. Von Mr. Grey ist nichts zu sehen, auch nichts zu hören. Kater haben keine Willkommenskultur, denkt Marie, und stellt ihre Reisetasche ab. Sie zieht ihren Mantel aus, hängt ihn an der Garderobe auf, geht den Flur entlang und wirft einen Blick ins Wohnzimmer. Auch dort ist nichts von Mr. Grey zu sehen. Aber ein Sofa! Und was für eines! Milena hat sich also ein neues geleistet. Ein besonders schönes Exemplar. Marie kann den Blick nicht vom Sofa lösen, so gut gefällt es ihr. Auch, weil es so groß ist. Auf dem Sofa, das bei ihr zu Hause steht, kann sie nicht einmal die Beine ausstrecken. Es ist bloß ein 2-Sitzer und ein größeres würde auch nicht in ihr Wohnzimmer passen. Aber das hier ist ein 4-Sitzer. Da könnten auch zwei Leute drauf liegen und bequem ihre Beine ausstrecken. Marie streift ihre Schuhe ab, geht zum Sofa, lächelt es an, streckt die Hand aus und streift in langen Zügen über die Polsterung. Ihre Lieblingsart etwas zu begrüßen. Mit Streicheleinheiten. Der Stoff fühlt sich gut an, denkt Marie, sehr gut. Dann greift sie nach ein paar kleinen quadratischen Kissen und wirft sie vor eine der beiden Armlehnen. Dort werden ihre Füße liegen. Wunderbar, denkt Marie, und gibt sich ihrer Begeisterung ganz hin. Ihre Begeisterung für Sofas ist nicht ganz neu. In letzter Zeit, wenn sie bei Freunden zum Essen eingeladen ist, kommt sie immer an den Punkt, an dem sie ihren Freunden die Frage stellt, ob sie sich noch auf ihr Sofa legen darf. Meistens ist das möglich und dann bleibt sie da liegen, so lang es geht. Also bis sie wieder nach Hause muss oder von ihren Freunden rausgeworfen wird. Ein Sofa, denkt Marie, ist wie ein Kunstwerk, man braucht es nicht zum Überleben aber es verschönert und erleichtert einem vieles. Marie hat vor, mit dem Kopf auf der Armlehne zu liegen, die vom Fenster abgewandt ist, damit sie die Tür im Auge behalten kann. Das möchte sie wegen Mr. Grey, falls es ihm doch noch mal einfällt, nachzusehen, wer angekommen ist. Marie setzt sich mittig auf das Sofa, zieht die Beine hoch, schwingt sie nach links und streckt sich der Länge nach aus. Die Polsterung heißt sie, wie zu erwarten war, willkommen. So willkommen, dass sie auch gleich noch die Nacht hier verbringen will. Was soll ich auch in einem Gästezimmer, denkt sie, wenn es hier so ein wunderschönes Möbelstück gibt. Das letzte Mal hatte Marie im Gästezimmer übernachtet. In einem engen schlauchartigen Raum mit einem Stockbett drin. Sofas sind viel magischer. Von einem Sofa fühle ich mich umarmt, von einem Bett nicht. Marie hofft, dass das Sofa ihren Geruch mag und schmiegt sich an die Rückenlehne. Dass das Sofa diese verschlossene Seite hat, gefällt ihr. Rückenlehnen sind für sie ein perfekter Schutzwall. Sobald etwas da ist, was ihr Halt gibt, imponiert ihr das immer. Marie legt ihre Hände neben sich und ist beglückt. Sie lungert am helllichten Tag auf einem Sofa herum, nimmt sich von allem frei. Vernachlässigt ihre To-Do-Listen und gönnt auch den Schuldgefühlen eine Pause. Ich fühle mich gerade so, als dürfte ich das Leben schwänzen, denkt sie. Wie schön das ist, wenn alle Ansprüche von einem abfallen, wenn man sich von allem entbunden fühlt, auch von sich selbst. Marie spürt wie Dankbarkeit in ihr aufsteigt, durch ihre Adern strömt und ihren Körper wärmt. Ihr Rumpf, ihre Beine, ihre Arme, ihr Kopf, fühlen sich durchbluteter an. Dass Milena ausgerechnet mir diesen Auftrag erteilt hat und niemand anderem, freut mich nun doch, denkt Marie. Und wie gut sich das gefügt hat, dass ich auch ihre Bitte nicht habe ausschlagen können. Nun stehen mir drei wunderschöne Tage auf dem Sofa bevor. Eine köstliche Zeit. Diese Vorstellung stimmt Marie heiter. Sie schließt die Augen und hört ein Miauen. Sie glaubt, es kommt aus der Küche. Es ist Mittag. Bestimmt hat Mr. Grey Hunger. Bald, denkt Marie, werde ich aufstehen und zu dir kommen. Versprochen.

 

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