Blitzlicht # 39
»Man könnte schon fast behaupten Empathie sei mein zweiter Vorname. Ich kann Empathie so schnell ausschütten wie andere Adrenalin. Sie ist bei mir im Überfluss vorhanden und will nicht ausgehen. Das Kontingent scheint unendlich groß und zäh zu sein. Das stößt sogar mir manchmal unangenehm auf. Es kommt mehrmals am Tag vor, dass ich mich in andere hineindenke und mir vorstelle, wie es ihnen geht oder was sie gerade aushalten müssen. Ich denke dabei an Menschen, aber nicht nur. Es können auch Tiere sein, aber auch anderes. Auch Zeugs. Vor fünf Minuten hat mein Körper schon wieder Empathie bekundet. Auf der Straße ging ein Mann neben mir, der seinen Kaugummi auf das Pflaster spuckte. Ich blieb stehen und überlegte, wie der Kaugummi sich jetzt wohl fühlen muss. Gerade war er noch in einer warmen Mundhöhle, in der es angenehm feucht und warm war, so wie in einem Thermalbad. Gerade wurde er noch von einer Zunge liebkost, von Zähnen geknetet. Seine Akupressurpunkte wurden berührt, nichts an ihm brauchte sich auf Dauer zu verspannen. Ständig konnte er seine Form verändern und cooler Shapeshifter sein. Er musste nicht das bleiben, was er gerade noch war. Brauchte nicht auf einer Stelle ausharren. Er wurde berührt, gewärmt und bewegt. Und sei es nur von links nach rechts. Aber nun lag er so tief unten auf der Straße und wurde einfach sich selbst überlassen. Ich habe ihn dann noch eine Minute lang angeschaut, das war Ehrensache.«