Alltag # 61
Marie hat gestern Nacht geträumt, dass sie aufgewacht ist, weil im Erdgeschoss ihres Hauses Wasser durchgebrochen ist. Ihre Wohnung liegt im dritten Stock, aber auf einmal konnte sie vom Bett aus bis nach unten sehen. Das Wasser schoß aus drei großen Rohren, der Durchmesser jedes Rohres betrug zwei Meter. Das Wasser strömte ununterbrochen aus den riesigen Metallzylindern. Das war beeindruckend. Überwältigend. Der Druck, mit dem das Wasser hervorschoß, löste in Marie Erleichterung aus. Immer wieder musste sie denken: Der Damm ist gebrochen. Der Damm ist gebrochen, ich muss nichts mehr festhalten. Endlich! Endlich! Endlich! Marie schwang ihre Beine aus dem Bett. Sie wollte so schnell wie möglich zu diesem Wasser. Sie musste es umarmen und wollte von ihm umspült werden. Sie schlüpfte in ihre Flip-Flops und öffnete die Wohnungstür. Vor der Tür stand ihre Mutter. Sie füllte die ganze Breite des Türstocks aus und sah sie grimmig an. Sie war eine Wärterin. Obwohl der Gesichtsausdruck Marie einschüchterte, wollte sie dennoch versuchen, sich an ihrer Mutter vorbei zu drücken. Sie rührte sich aber nicht vom Fleck. Verzweiflung überfiel Marie. Da trat aus ihrer Mutter, wie bei einem Reklameclip, eine neblige Gestalt heraus, ein Double. Das Double lächelte Marie freundlich und verständnisvoll an, hatte aber keinen Körper, stand nur da wie ein Geist, der noch zu keiner Materie gekommen ist. Das freundliche Double versteckte sich hinter ihrer Mutter. Und die Mutter mit ihrem Materiekörper stand einfach nur weiter da und versperrte Marie den Weg. Der Mutterkörper war so unbeweglich wie ein Felsblock. Marie hatte nicht die Kraft, sie umzuwerfen. Als sie das realisierte, wachte sie auf.