Lebensentwürfe # 14
Marie konnte durch ihre geschlossenen Lider erkennen, dass es draußen bereits hell war. Also musste es schon nach sieben Uhr sein. Marie hielt ihre Augen weiterhin geschlossen und zählte. Eins. Zwei. Drei. Sie zählte die Schläge der Kirchenglocke mit. Vier. Fünf. Nach fünf hörte sie nicht mehr zu. Eigentlich war es ihr egal, wie spät es jetzt war. Auch eine Uhrzeit wird bei ihr nicht auslösen, die Augen zu öffnen. Wenn sie ihr Gehirn durchforstete, warum das so war, fand sie keinen nachvollziehbaren Grund. Weder war sie durch eine Prüfung gefallen, noch hatte sich jemand von ihr getrennt. Auch hatte sie keinen Fahrradunfall, noch stand der Gerichtsvollzieher vor der Tür.
Man sagt, dass das Gelb und das Rot der Blätter immer schon unter dem Grün wohnt und nicht erst dann gebildet wird wenn es Herbst wird. Marie überlegte, ob sie etwas in ihrem Medizinschränckchen hat, was sie einnehmen könnte. Sie wollte weiterschlafen. Da waren Schmerzmittel. Eine Packung Ibuprofen, ein paar Aspirin und eine halbe Schachtel ASS-ratiopharm. Sie hatte sie gekauft, weil sie vor einem Monat auf einmal Angst hatte, ein Blutgerinnsel zu bekommen. Um die Angst zu bändigen, hatte sie eine Woche lang jeden Tag eine von den ASS-Tabletten genommen. Es war also nichts da, was ihr beim Wiedereinschlafen helfen würde. Marie zwang sich, an ihre letzte Essenseinladung zu denken, wie glücklich sie an dem Abend war, wie gut ihr die Gespräche gefallen hatten. Das gemeinsame Lachen. Das Gefühl hielt sich aber nicht lange. Marie zwang sich, an ihren grobgestrickten rosaroten Wollpullover zu denken. Sie war so froh, dass sie sich ihn geleistet hatte. Er löste so ein Wohlbehagen in ihr aus. Zog sie ihn an, kam sie sich wie ein Murmeltier vor, dass sich sein Fell bei einem Friseur hat rosa färben lassen. Aber auch dieses Gefühl verflüchtigte sich wieder. Was blieb, war ein Reiz. Der Reiz, einfach nicht mehr mitzumachen. Auch nicht beim Aufstehen mitzumachen. Damit wird sie sich durchsetzen.