Blitzlicht # 37
»Als Kind gab es eine Zeit, in der ich keine Mandarinen aß. Ich mochte zwar ihren Geschmack, aber nicht die Haut und noch weniger die kleinen weißen Fäden, die auf ihr klebten. Spürte ich sie auf der Zunge, verursachte das einen leichten Ekel. Das lag an der Trockenheit und der eigenartigen Konsistenz dieser Fäden. Sie schmeckten nach nichts und kamen mir wie Styropor vor. Aber da ich die Farbe der Mandarinen mochte und auch, dass sie so klein waren – als Kind waren Mandarinen für mich immer die Babys der Orangen und nicht eine eigene Art – habe ich mir etwas einfallen lassen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich auf diese Idee kam. Wie immer schälte ich zuerst die Frucht und warf die Schalen weg. Aber danach verteilte ich dann alle Spalten der Mandarine auf die heißen Rippen des Heizkörpers in der Küche. Zwischen jeder Rille lag eine. Dort blieben sie dann eine Zeit lang liegen. Ab und zu habe ich sie mit dem Finger angestupst, um zu überprüfen, wie weit sie sind. Denn ich konnte genau spüren, wann der Zeitpunkt gekommen ist, mit der Operation zu beginnen. Die Haut musste bis zum Platzen gespannt sein und sich so trocken anfühlen wie Papier. War das der Fall, brauchte ich mit dem Fingernagel nur noch die Haut aufzureissen. Dafür wählte ich die innere Kurve des halbmondförmigen Stücks. An der Stelle kam mir die Haut sowieso wie eine Naht vor. Ich riss die Spalte auf und löste die Haut vom Fruchtfleisch. Das ging so leicht, als wäre sie ein Kleidungsstück, das man der Mandarine jederzeit ausziehen kann. Das filetierte Furchtfleisch schmeckte köstlich. Aber was mir am meisten Spaß bereitete, war das Entkleiden. Die Mandarine nackt zu sehen. Aber das bereitet mir schon lange kein Vergnügen mehr. Genauso wenig wie mich selbst unverpackt zu sehen.«