Über meine Kunst
Interview
2008 | Im Magazin: von hundert, ein Gespräch mit Ricoh Gerbl von Barbara Buchmaier |
http://www.vonhundert.de/ |
In between us
Ein Themenschwerpunkt in Ricoh Gerbls Kunst ist die Pfropfung. Ein Begriff aus der Botanik. Zwei Pflanzen, die ursprünglich nicht zusammengehören und getrennt voneinander existieren können, werden miteinander verknüpft. Ein Übergriff findet statt. Interessanterweise wird er als Veredelung bezeichnet. Diese Vorgehensweise übernimmt Ricoh Gerbl für ihre Zwecke und wandelt sie ab.
Gegenstände werden Familienmitgliedern situationsbezogen aufgepfropft. Haltungen werden sichtbar. Die Inszenierungen verweisen auf gesellschaftliche Konstellationen.
Für die Serie „Die Mutter & Co, Pfropfungen“ fotografierte Ricoh Gerbl ihre Mutter, ihre Tante und ihre Cousine. Ricoh Gerbl inszeniert Vorstellungen von Sicherheit, Wohnlichkeit, Arbeit und Frausein. (Fünf Beispiele)
C-Print, Aludibond, Schutzfolie glänzend, 184 x 123 cm, © Ricoh Gerbl
Ricoh Gerbl sucht nach Möglichkeiten, Kunst – anders als im dafür vorgesehen White Cube Modell – zu verbreiten. Mit den großformatigen Fotografien aus der Serie: „Die Mutter & Co, Pfropfungen“ belagert sie Privatwohnungen. Ihr unbekannte Wohnungen werden sozusagen mit Kunst besetzt. Die privaten Räume werden durch die aufgestellten und aufgehängten Fotografien grundlegend verändert. Eine neue Atmosphäre entsteht, losgelöst vom Gewohnten. Gerbl beginnt mit dieser Ausstellungsart bei ihrem Nachbarn. Weitere Ausstellungsmöglichkeiten ergeben sich durch Kontakte auf Partys. Denn eine Party in der Wohnung auszurichten ist die Bedingung für das Liefern und das Hängen ihrer Kunst. Und es gibt viele Partys in der Pfropfungszeit. Die Belagerungen werden von Ricoh Gerbl fotografisch festgehalten. Und aus diesen Dokumentationen entsteht die nächste Serie: „Die Wohnungspfropfungen“. (Fünf Beispiele)
C-Print, Schutzfolie matt, Ösen, 188 x 128 cm, © Ricoh Gerbl
Hauswehlesungen
Auch mit ihren Prosatexten wählt Ricoh Gerbl Alternativen zum gängigen Literaturbetrieb. So verkauft sie zum Beispiel in einem Blumenladen in der Tuchholskystraße Lose. Jedes zehnte Los ist ein Hauptgewinn. Nach telefonischen Absprachen fährt Ricoh Gerbl zu den Gewinner*innen und liest ihre Texte in den mit den Gewinner*innen abgesprochenen Kontexten vor. Zu dritt auf einem Schiff auf der Havel, zu fünft in einem Esszimmer in Potsdam, zu siebt in einer Küche in Kreuzberg, zu zehnt in einem Atelier in New York, oder zu dreißigst in einem Wohnzimmer in der Elberfelderstrasse in Berlin. (Drei Beispiele)